Der Jemen – Geschichte
In Jemen gibt es zahlreiche archäologische Stätten, die von einer sehr
frühen Besiedlung des Landes zeugen. Baufragmente, Skulpturen, Reliefs,
Schrifttafeln, griechische und römische Manuskripte, Schmuckgegenstände
und Gefäße zeugen von einer reichen, blühenden Kultur.
Die
ersten Zeugnisse sind neolithische Speerspitzen und Messer aus den
Wüstengegenden, die in großer Menge gefunden werden. Ab dem 2.
Jahrtausend v.u.Z. lösten einander verschiedene Reiche ab, und zwar die
Dynastien von Ma'ain, Saba, Qataban, Awsan und Himyar (10.Jh. v. bis 3.
Jh.n.u.Z.). Die Metropolen dieser Reiche waren an den Handelswegen am
Rande der Wüste in Oasen angelegt. Hier entstanden einzigartige
Bewässerungssysteme (der große Damm von Marib, der ein riesiges Tal
fruchtbar machte), Hochbausysteme aus Lehmziegeln und eine
Infrastruktur in den Lehmhochbauten, die über einen Mittelschacht und
diverse flexible Maueröffnungen und Fenster ein ausgeklügeltes
Kühlungs- und Belüftungssystem ermöglichten.
Die Leistungen im Bauwesen
und in der Ingenieurtechnik wurden ergänzt durch höchste künstlerische
Leistungen auf dem Gebiet der Skulptur und der Reliefkunst sowie in der
Entwicklung von Schriften. Grosse Schrifttafeln in Steinblöcken
erzählen von den Geschehnissen in den alten Reichen. Auf vielen alten
Reliefs sind Steinbockfriese zu sehen, die davon zeugen, dass der
Steinbock in geschichtlicher Zeit im Jemen verbreitet war und verehrt
wurde. Kleinfunde aus den diversen archäologischen Stätten befinden
sich im gut ausgestatteten Nationalmuseum in Sana’a.
Schon sehr früh gab es zwischen den jemenitischen Dynastien und anderen
frühen Kulturen der antiken Welt politische, wirtschaftliche und
Handelsbeziehungen. Jemen wurde ein klassisches Transitland für die
Warentransporte aus dem indischen Subkontinent in die Mittelmeerländer.
Aus diesem Grunde wurden das Transportwesen und die gefahrvolle
Durchquerung der Wüsten zur Haupterwerbsquelle. Diese Transitfunktion
hat aber auch dazu geführt, dass der Jemen stets offen für fremde
Einflüsse war.
Ein solcher Einfluss war der sich ab dem 7. Jahrhundert aus Mekka und
Medina ausbreitende Islam. Jemen war eines der ersten Länder, das
islamisiert wurde und wurde so über die Jahrhunderte zur stabilen
Festung des Islam im Süden der arabischen Halbinsel. Dabei fanden viele
verschiedene, zum Teil ursprünglich jemenitische Ausprägungen des Islam
ihre Anhängerschaft. Die Mehrzahl der Jemeniten sind Sunniten, es gibt
aber auch verschiedene schiitische Gruppen wie die Zaiditen im Norden
(die derzeit nach der Wiedererrichtung des Imamats streben), aus
Saudiarabien wurde und wird wahabitisch missioniert.
Sufis haben ihre Anhängerschaft im Hadramaut und die Ismaeliten den Wallfahrtsort Hotaib im Bergjemen. In jener Zeit, die im Abendland Mittelalter genannt wird – also vom 8.
bis zum 15. Jhdt. n.u.Z. - entstanden in den arabischen Ländern die
schönsten islamischen Bauten. Im Jemen wurden sehr früh Moscheen
errichtet, die einen eigenen Typus entwickelten. Solche frühen Moscheen
stehen in Sana’a, Shibam/Kaukaban und Al-Janad. Kultur- und
kunsthistorisch bedeutend sind auch die Moscheen in und um Taiz und in
Thula. Zu den Moscheen-komplexen gehören meist Waschanlagen zur
Reinigung vor dem Gebet, Innenhöfe, Minaretts und Medresen
(Koranschulen). Manchmal - wie in Jiblah . sind auch Palastbauten
angeschlossen.
Am Beispiel der islamisch-jemenitschen Baukunst lässt sich sowohl die
Entwicklung allgemein islamischer Baukunst ablesen wie auch eine
speziell jemenitische Stilgeschichte nachweisen. Der Islam verbietet
jegliche figurative Darstellung, im Gegenzug gelangten die
Kalligraphie, die arabischen Zierschriften von Korantexten, und
bauspezifische Dekorationselemente (Stukkaturen, Glas- und
Alabasterfenster) zu höchster Feinheit und Perfektion.
Einmalig ist auch die profane jemenitische Baukunst, die in der
Altstadt von Sana’a, in manchen Bergstädten nordwestlich von Sana’a, in
Ibb, Jiblah und in den Lehmhochbauten des Hadramaut die höchste Blüte
entfaltete. Manche dieser Lehmbauten sind Jahrhunderte alt, in Städten
wie Habban, das soeben wieder auflebt, werden sie im alten Stil neu
errichtet.
Als kontinuierliche Hochkultur kann man auch die jemenitische
Landwirtschaft bezeichnen. Ob Kamel- oder Ziegenzucht (vor allem für
saudiarabische Abnehmer) der Beduinen oder Ackerbau auf durchgehend
terrassierten Gebirgshängen, Oasen in den Wadis oder Kleinfelderanbau
im Grünen Jemen – die Landwirtschaft basiert auf uralten Traditionen
und über die Jahrhunderte ausgebildeten Fähigkeiten, auch dem
unfruchtbarsten Stück Land noch eine Ernte abzutrotzen.In den letzten Jahrhunderten war der Jemen abwechselnd unter türkischem, ägyptischen und saudiarabischem Einfluss. Bis zur Revolution 1967 regierte das restaurative schiitische Imamat, in welchem das Land abgeschottet in feudalistischen Strukturen verharrte. Erst seit den 70er Jahren entstand eine Öffnung nach außen und eine zögerliche Liberalisierung und Demokratisierung im Innern. Der zeitweise abgetrennte Süden stand unter kolonial-britischem und von 1967-1990 unter sowjetischem Einfluss. Die Mehrzahl der Bevölkerung sind hier Sunniten, die Bindung an Stammentraditionen je nach Region verschieden stark. Die verschiedenen geschichtlichen, politischen und kulturellen Hintergründe einzelner Regionen erschweren heute ein friedliches Zusammenleben aller Jemeniten von Saada bis Aden und von Hodeidah bis Scotra. Es wird auf die neu zu errichtende Verfassung ankommen, ihre föderalistische oder zentralistische Ausrichtung, inwieweit allen verschiedenen Bestrebungen genüge getan werden und ein gerechter Ausgleich gefunden werden kann.